Warum kulturelle Innovationsforschung für die Entwicklung von Kunst und Kultur nützlich sein kann

Kultur, Wirtschaft und Politik, wie interagieren diese Kommunikations- und Aktionssysteme untereinander? In der Kulturgeschichtsschreibung der Europäer kommen wirtschaftliche Überlegungen kaum zum Tragen. Das 19. Jahrhundert, das die Musikgeschichte und Kunstgeschichte erfunden und rekonstruiert hat, legte Wert darauf, die Verbindung zum Wirtschaftsleben zu vertuschen oder gar zu leugnen. Und das aus gutem Grund: Mit der industriellen Revolution begann das Wirtschaftsleben exponentiell zu wachsen und die neuen Reproduktionstechnologien Photographie, Schallplatte, Kunstdruck brachte eine Ästhetik des Kitsches hervor, die sich in der rasch wachsenden Gesellschaft von Großstädtern gewinnbringend verkaufen ließ. Das rief die  Apologeten der Hochkultur auf den Plan, die nun daran arbeiteten, den schönen Künsten den Nimbus einer säkularen Religion zu erschaffen. Mit Erfolg. Richard Wagner ist vielleicht mit seiner Konzeption des Gesamtkunstwerkes, durch das die Menschheit geläutert wird, einer der Cheftheoretiker dieser neuen Kunstreligion. Nachdem Wagner im freien Markt gescheitert war, entwickelte er sein eigenes Format mit den Bühnenfestspielen in Bayreuth, finanziert von Ludwig II. Ab jetzt löst sich das Kunstgeschehen vom Marktgeschehen und die Politik übernimmt die Schirmherrschaft, die jahrhundertelang die Aristokratie ausgeübt hatte. Im 20. Jh verkündete dann Theodor Adorno das unwiderufliche Schisma zwischen hoher und niedriger Kunstausübung. Während sich die Popularmusik zu einem milliardenschweren Wirtschaftszweig weiter entwickelte, zog sich die musikalische Avantgarde ins Private zurück. Schönberg und seine Schüler Berg und Webern gründeten den Verein für musikalische Privataufführungen, das Modell für alle Aktivitäten der Neuen Musik im 20/21. Jh. L'art pour l'art und nicht "give the public what it wants". Das 3. Modell nämlich die politische Propagandakunst wie sie vom Nationalsozialismus und im stalinistischen Kommunismus propagiert wurde, scheiterte und führte dazu, dass in Deutschland die Freiheit der Kunst von politischer oder wirtschaftlicher Einflussnahme im Grundgesetz verankert wurde. Seitdem ist die sogenannte Hochkultur auf staatliche Unterstützung angewiesen. In allen wohlhabenderen Nationen Europas wird Kunst und Kultur als meritorisches Gut angesehen und untersteht dem besonderen Schutz des Staates. Allen voran die Kulturnation Frankreich mit einem Kulturetat von 11,2 Mrd €. Deutschland mit seiner föderalen Kulturförderung gibt eine vergleichbar hohe Summe für seine Kulturtempel, wie Museen, Theater, Konzerthäuser, Orchester und Opernhäuser aus. Damit ist die Kulturproduktion dem freien Marktgeschehen enthoben, wie es durchaus noch bis ins 18. Jh der Fall war. Die freien Künstler im Barockzeitalter waren auch tüchtige Kulturunternehmer wie Peter Paul Rubens oder Georg Friedrich Händel. Heute erleben wir die rein wirtschaftlich orientierten Märkte der Kreativwirtschaft wie Film- Musical und Popularmusik oder eine an innovativer Ästhetik orientierten Expertenmarkt, der zu 90% vom Staat finanziert wird. In den USA ist Kunst- und Kulturförderung Privatangelegenheit. Als multikulturelles Einwanderungsland sollte jede Bevölkerungsgruppe ihre eigene Kultur und Religion ausüben uns pflegen können. Dafür gab es dann einen unbegrenzte Möglichkeiten, dieses finanzielle Engagement von der Steuer abzusetzen. Es ist kein Zufall, dass es in den USA zu einer Koevolution von europäischer und person of colour Kulturen kam wie im Blus, Jazz, Rock oder Soul. Aber auch in der bildenden Kunst kam es zu der Annährung zwischen Kreativwirtschaft und schönen Künsten. Andy Warhol war zunächst Werbegrafiker bis er in das Fach der "schönen Künste" wechselte. Die Koevolution dieser beiden Märkte hat Michael Hutter in seinem Buch: Ernste Spiele- der Aufstieg des ästhetischen Kapitalismus aufgezeigt. Popart setzte neue ästhetische Standards, indem die Kitschästhetik der Populärkultur durch kunstgeschichtliche Referenzen veredelt wurde. Boris Groys hat das in seinem Essay "Über das Neue - Versuch einer Kulturökonomie" sehr überzeugend dargestellt: Ästhetische Innovationen entstehen u. a. in der profanen Alltagskultur, die dann durch kunstgeschichtliche Referenzbildung in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen wird und einen sakralen Status erhält. In der Musikgeschichte sind solche Transfererfolge seltener anzutreffen. Die Welt der klassisch-romantischen Musik genügt sich selber und hat wenig Bedürfnis nach Innovation. Das innovative Element findet eher in der neuen Interpretation eines Standartwerkes statt, als in der Neugier nach neuen Werken wie es zur Zeit des Barock oder der Klassik selbstverständlich war. Barockopern wurden am laufenden Bande produziert und verschwanden so schnell von den Bühnen wie sie kreiert worden waren. Heute bringen Ensembles für Neue Musik 1,7 Uraufführungen zustande, von denen die Wenigsten noch einmal aufgeführt werden. Diese werden aber meistens ausschließlich von einem Expertenpublikum rezipiert. Ein Transfer zu Klassikszene findet kaum statt. Die Hörgewohnheiten der breiten Bevölkerung werden aber durch die Hörerziehung der Popularmusik bestimmt und die Aufnahmefähigkeit komplexer musikalischer Strukturen nimmt eher ab als zu. Da bleibt nur noch die dahinschmelzende Klientel der traditionalistischen Bildungsbürger. Die Zukunft liegt aber  in einer Musikkultur, die das ganze kreative Potential von Avantgarde, Jazz, Weltmusik und Popmelodik ausschöpft und es in die Komplexität der Formstruktur klassisch-romantischer Musik einfließen lässt, eine Jahrhundertaufgabe!